Funktion von Fluchen
Jeder kennt dieses Szenario: Man stösst sich den Zeh und schon ist einem ein «Scheisse» rausgerutscht. Doch warum fluchen wir überhaupt? Bei dem Phänomen Fluchen sind die Meinungen unter Psychologen, Wissenschaftlern und Pädagogen gespalten.
Fluchen wird allgemein als Äusserung von Aggression, Stress, Wut oder sogar Angst definiert. Auch als verärgertes Sozialverhalten wird Fluchen verstanden. Wird das Schimpfwort aber auf eine Person bezogen, sieht man das Fluchen als ein verbales Drohverhalten.
Fluchen ist aber nicht wie bei Tieren immer drohend zu verstehen, sondern kann auch als absichtliches Fehlverhalten oder sogar als Rückzugsstrategie aufgefasst werden.
Experten glauben jedoch, dass Fluchen ein Impuls ist, wie zum Beispiel ein Schmerzens-schrei oder ein verzweifeltes Stöhnen. Denn das Fluchen kommt nicht aus dem Sprach-areal unseres Gehirns, dem Broca-Zentrum, sondern aus dem limbischen System. Dieses ist der Ort, wo Gefühle verarbeitet werden und woher emotionale Reaktionen kommen.
Dies wurde mehrmals bewiesen durch Patienten, die bei Hirnschäden einen kompletten Ausfall des Sprachzentrums, also eine Aphasie, hatten. Die Patienten hatten nebst den Wörtern Ja und Nein auch grossen Zugriff auf Schimpfwörter. Wenn sie aber aufge-fordert wurden, diese von einem Blatt abzulesen, war ihnen das unmöglich.
Die eigentliche Funktion von Fluchen ist wahrscheinlich für jeden unterschiedlich, aber meistens wird beim Fluchen ein katharsischer Effekt vermutet. Bei diesem Effekt soll durch das Ausleben innerer Konflikte und verdrängter Emotionen eine Reduktion genau dieser herbeigeführt werden. Es wird vermutet, dass bei diesem Effekt das Fluchen eine Kanalisation der Aggression ist. Der katharsische Effekt beim Fluchen ist jedoch unter Wissenschaftlern stark umstritten.
Es wird auch vermutet, dass beim Fluchen der Körper in einen Alarmzustand versetzt wird. Dies soll genau das Gegenteil zum katharsischen Effekt bewirken. Da Aggression besser verarbeitet werden kann, wenn man sich zu beruhigen versucht, verstärkt Fluchen die Adrenalinproduktion und somit das Gefühl von Stärke. Durch dieses Gefühl von Stärke tritt auch eine Schmerzlinderung ein. Bei der ersten Theorie wird psychischer Schmerz und bei der zweiten Theorie physischer Schmerz verarbeitet. Fluchen kann also, wie auch in einer britischen Studie bewiesen, Schmerz lindern, aber nur, wenn man im Alltag nicht zu viel flucht, sonst ist man gegen diese Funktion schon immuni-siert.
Bei der Vulgärsprache ist die Funktion der Kraftausdrücke aber eine andere. Hier wird ein unangemessener und beleidigender Sprachstil verwendet, um unbekümmert und demonstrativ vulgäre Metaphern in harmlosen Themen vorzubringen. Den meisten, die die Vulgärsprache benutzen, fehlt die sozial schädigende Wahrnehmung.
Viele sehen im Fluchen aber einen viel einfacheren Nutzen, nämlich den des Dampfab-lassens und des Stressabbaus.
Fluchen kann auch die Gesellschaft provozieren und ihr einen Spiegel vorhalten.
Gegner des Fluchens sehen es jedoch als aussichtslosen Protest gegen die Weltordnung.
Das Verwenden von Fäkalsprache ist selten auch zwanghaft. Bei der Krankheit Koprolalie kann die Verwendung nicht kontrolliert werden und hängt auch nicht un-bedingt mit einer emotionalen Reaktion zusammen.
Wie wir das Schimpfwort meinen und welche Intention dahinter steckt, hängt davon ab, wie wir es ausdrücken. Welche Tonart wir benutzen, unsere Mimik und Gestik und in welchem Kontext die Kraftausdrücke verwendet werden, sind zentral, wenn es darum geht, wie viel Schmerz verursacht werden könnte. Wie wir Schimpfwörter im Gebrauch aussuchen, hängt von den gesellschaftlichen Tabus ab. Tabus sind nicht nur je nach Kultur und Alter unterschiedlich, sondern wandeln auch stetig mit der Zeit. Deshalb verändern sich auch Schimpfwörter mit der Zeit. In dieser Hinsicht wird das Fluchen als Praxis des Klassifizierens verstanden.
Schimpfwörter können so auch positive Veränderungen durchlaufen, wie zum Beispiel das Wort «Nerd».
In manchen Gruppen oder jugendlichen Cliquen kann das Fluchen auch eine Solidarität bedeuten, wenn gegen Aussenseiter oder als liebevolle Kosenamen füreinander ver-wendet. Diese Kosenamen weisen auf ein Anzeichen des Wohlfühlens untereinander hin.
Fluchen kann auch eine Frage des Stils sein. Einer Aussage kann Nachdruck verliehen werden, einem Witz das Sahnehäubchen aufgesetzt werden oder in einer grossen Runde Aufmerksamkeit erlangt werden.
Wenn du Fluchen also positiv sehen willst, freu dich einfach, dass du durch die Ver-letzung einer sozialen Norm als Teil der Gesellschaft anerkennt worden bist, wenn du das nächste Mal beschimpft wirst.
Alexandra Pergher
Quellen:
https://www.srf.ch/wissen/mensch/warum-fluchen-wir
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Schimpfen
https://de.wikipedia.org/wiki/Vulgärsprache
https://www.nzz.ch/gesellschaft/kultur-des-schimpfens-wer-flucht-tut-gutes-ld.150299
http://lexikon.stangl.eu/23789/fluchen/
https://de.babbel.com/de/magazine/schimpfwoerter
http://www.tagesanzeiger.newsnetz.ch/zeitungen/Hueregopferdammisiech/story/22273933